„Ihr bekommt eine Einweisung“, sagt die freundliche junge Frau in dem zum Büro umfunktionierten Container in Kochkor. Wir brauchen uns keine Sorgen machen. Die Einweisung bekommen wir von Nurabil, unserem Guide für die kommenden beiden Tage zu Pferd durch die Bergwelt Kirgistans. In der Theorie recht einfach. Am rechten Zügel ziehen lenkt das Pferd nach rechts und umgekehrt. Das simple „Cho“ verlangt Geschwindigkeit. Die Anweisung zum Bremsen vergisst Nurabil. Einziges Problem: Dem Pferd sind meine Wünsche egal. Nurabils Peitsche gibt den Ton an.
Ein Taxi bringt die kleine Reisegruppe die Stunde Fahrt bis nach Jumgal. Hätten Autos ein Verfallsdatum, dieses wäre mit Sicherheit abgelaufen. Die Windschutzscheibe ist mächtig zersprungen und notdürftig mit etwas geklebt, dass wie dicker Tesafilm aussieht. In die rechte Tür der Rückbank können wir hineinsehen und eine Türverkleidung von innen betrachten. Nurabil und sein Vater erwarten uns, satteln die Pferde. Nurabil ist ein 17-jähriger Kirgise. Vor dem Aufbruch bittet er um 15 Minuten Zeit um sich von seinen beiden kleinen Brüdern zu verabschieden. Dann folgt die Einweisung. Die fehlende Bremse hätten wir später noch gebrauchen können.
Der Pferde Trek bringt die Besucher auf die andere Seite des Passes zum See Songköl. Der Bergsee befindet sich auf 3016 Metern Höhe und ist der zweitgrößte Kirgisistans. Die kleine zentralasiatische Republik wirbt in den vergangenen Jahren verstärkt um Touristen aus Europa. Sie kommen wegen der opulenten Bergwelt und den bisweilen abenteuerlichen Wandermöglichkeiten in das Land zwischen, Tadschikistan und Kasachstan. Im Osten lockt der mächtige Tian Shan.
Wer nicht zu Fuß unterwegs ist, nimmt sich ein Pferd. In Kirgisistan lebten einst vorrangig Nomaden. Heute noch sind Viele als Halbnomaden in den Sommermonaten an den Berghängen des Tian Shan und den Plateaus im Zentrum des Landes und lassen ihr Vieh in der Höhe weiden. In den Bergregionen sind Pferde nach wie vor das Fortbewegungsmittel der Wahl.
Nurabil lotst die Gruppe aus seinem kleinen Heimatdorf hinaus und geradewegs auf den vor uns liegenden Bergpass zu. In den drei Sommermonaten der Schulferien arbeitet er als Guide und führt mehrmals pro Woche Touristen über den Pass. Ab September geht er wieder zur Schule.
Der Weg wird rasch wilder. Scheinbar mühelos waten die Pferde durch kleine Gebirgsbäche und missachten die Wege durch das hohe Gras. Der Anstieg wird steiler, ich rutsche zum Ende des Sattels. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. In der karger werdenden Landschaft gibt es kaum Schatten. Vereinzelt kommen kleine Reitergruppe den Weg entgegen, die Pferde quetschen sich aneinander vorbei. Die Wege sind eng. Gegen Mittag erscheint in der Ebene auf der anderen Seite der Songköl. Mattblau erstreckt er sich in die Weite.
Der Abstieg zum See ist ein Abenteuer für sich. Nachdem die Pferde sich schnaubend über den Berg gequält haben, gewährt Nurabil ihnen Auslauf. Auf ein für die Touristen unsichtbares Zeichen gehen die Pferde zunächst in einen wippenden Trab über, bevor sie im Galopp vorpreschen. Der steife Touristenkörper knallt immer wieder hart auf den Sattel. Für Reitnovizen stellt Galopp eine gewisse Herausforderung dar. Mit aller Kraft ziehe ich am Zügel. Nichts geschieht. Die psychische Macht der Peitsche ist stärker als jede physische die ich aufbringen kann.
Alles Wehklagen hilft nichts, Nurabil ist der Meinung, seine Gäste wüssten die Geschwindigkeit zu schätzen und spornt die Pferde erneut zum Galopp an. Einzig natürliche Hindernisse stoppen die Tiere.
Keine zwei Stunden später gelangen wir unten an den See und eine lose Ansammlung von Jurten, die für die Nacht unser Quartier sein werden. Es ist Teatime. Nora, die Gastgeberin, tischt Wasser- und Honigmelone, Tee, Marmelade und das landestypische Brot auf. Außer uns sind noch sechs weitere Touristen im Camp, allesamt Europäer.
Für die Nacht basteln unsere Gastgeber aus einer der Essensjurten mal eben schnell einen Schlafplatz. Bänke und Tische werden zur Seite geräumt und Matten auf dem Grasboden ausgelegt. In der Nacht komme ich mir vor wie in einem der neumodischen Kinderbücher vom Bauernhof, die auf Knopfdruck Tiergeräusche nachmachen. Ständig ertönt von irgendwo her das Rufen eines Pferdes oder einer Kuh. Am lautesten ist der Esel, der einen Konflikt mit einem der Wachhunde auszutragen scheint.
Am Morgen steht wieder die Überquerung des Passes an. Zurück in Jumgal organisiert Nuraldins Vater ein Taxi zurück nach Kochkor. Unterwegs liegt ein LKW umgekippt im Straßengraben, entgegenkommende Fahrzeuge wirbeln graue Staubwolken vermischt mit schwarzen Abgasen auf. Die Sicht verschwindet für einen Moment. Der Gegenverkehr besteht auch mal aus einer Herde von 30 Pferden und zeugt von der Rauheit der zentralasiatischen Republik.
Kirgisistan öffnet sich langsam für Touristen aus dem Westen. Sechs Millionen Einwohner leben in dem kleinen Land, dennoch können die Entfernungen gewaltig wirken. Ein Großteil der Landesfläche ist von Gebirgsketten durchzogen, im Osten trennt der mächtige Tian Shan das Land von China. Trotz der touristischen Entwicklung bemüht sich Kirgisistan, die Authentizität zu bewahren. Sie ist Kirgisistans touristischer Exportschlager.
Text und Bilder: Jonathan Ponstingl