Kapitän Jörn Petersen wendet die „MS Ol Büsum“ im Hafenbecken von Büsum. Das Ziel: die große Seehundsbank draußen vor der Küste. Es ist auflaufendes Wasser und nachdem das Ausflugsschiff die Schleuse passiert hat, fahren Kutter um Kutter mit ihrem Krabbenfang auf dem Rückweg zu ihrem Heimathafen der „MS Ol Büsum“ entgegen. Die Landmarken von Büsum, das Silo und das Hochhaus, verschwinden langsam mit der Küste. Das Schiff nimmt Fahrt auf, und das GPS weist dem Kapitän den Weg nach West. „Wir fahren hinaus zu den äußeren Sandbänken“, erklärt der Kapitän, „rund 20 Kilometer vor der Küste von Büsum liegen große Sandbänke, die auch bei Flut selten untergehen.“
Die Möwen segeln um das Schiff und der Diesel wummert gemütlich. Nach einer guten Stunde Fahrt drosselt der Kapitän die Maschine. Es ist eine amphibische Welt aus Wasser und Land, langsam laufen die Priele voll, noch glänzen Wattflächen unter der aufkommenden Sonne. Und die Seehunde werden bald auf ihre Sandbänke zurückkehren, um zu Ruhen, um zu Rasten. „Die Seehunde leben hier in großen Kolonien“, klingt es aus dem Lautsprecher, „bis zu 150 Tiere zählen wir manchmal.“
Der Kapitän steuert das Schiff aus dem großen Priel, vorsichtig schleicht die „MS Ol Büsum“ auf die Sandbank zu. Tiefenradar, Sonar und die Erfahrung des Kapitäns manövrieren das Schiff sicher in eine Bucht. Die Sandbank liegt sichelförmig in der Nordsee. An ihrer Westseite rollt die See heran; hier in der Bucht – geschützt durch die Sandbank – ist das Wasser ruhig. Bald taucht die erste vorwitzige Schnauze aus dem Wasser auf. Nun sind auch schon ohne Fernglas die ersten dunklen Tiere auf der Sandbank zu erkennen; dicht an dicht, doch jedes auf seinen Platz bedacht. Kapitän Petersen hält das Schiff mit sachtem Zug am Gas sorgsam auf Abstand – nicht nur um ein Auflaufen zu verhindern, sondern vor allem um die Tiere nicht zu stören.
Angst scheinen sie nicht vor dem Schiff zu haben, sie liegen still, schauen mit ihren runden Köpfen dem Schiff aber wachsam hinterher. Die „MS Ol Büsum“ dreht bei, der Kapitän nimmt Gas raus. „Wir sind Nationalparkpartner der ersten Stunde. Wichtig ist, die Tiere nicht zu stören. Wir wollen sie nicht zur Flucht ins Wasser veranlassen – vor allem dann nicht, wenn sie Nachwuchs haben“, sagt Hauke Rahder von der Büsumer Reederei Rahder. Bis in den Sommer gebären die Seehund-Weibchen ihren Nachwuchs. Die Jungen können bereits schwimmen und halten sich mit ihren Müttern in der Nähe der Sandbänke auf. Sie kommen immer wieder dorthin zurück, um zu säugen oder sich auszuruhen. Es geht auch ohne Störung. Und wieder taucht eine Schnauze auf; neugieriger Blick, eleganter Schwung und verschwunden in den Fluten ist der Seehund. Der Kapitän wendet das Schiff in der Bucht und steuert heimwärts.
Nicht weit von Büsum liegt im Süden an der Elbmündung Friedrichskoog, dort ist die Seehundstation: In dieser deutschlandweit einzigartigen Gemeinschaftshaltung können die zwei heimischen Robbenarten Seehund und Kegelrobbe an Land sowie im und unter Wasser beobachtet werden (www.seehundstation-friedrichskoog.de). Der Besuch dieser Station ist ein Muss während eines Urlaubes an der Westküste; sieben Tiere kann man beobachten und die Ausstellung vermittelt interessantes Wissen nicht nur zu den Robben der Nordsee. Aber hier geschieht, neben wissenschaftlicher Arbeit, noch mehr: Die Seehundstation Friedrichskoog bekommt auch Fundtiere – junge Kegelrobben ebenso wie verlassene Seehundjunge; die „Heuler“, von der Mutter getrennte Tiere.
Es kommt vor, dass die Tiere zum Beispiel durch einen Sturm oder eine Störung voneinander getrennt werden. Wer einen „Heuler“ am Strand findet, sollte einen größtmöglichen Abstand bewahren und sofort die örtlichen Fachleute informieren. Die begutachten das Tier und entscheiden dann, was weiter geschieht – oft ist eine junge Robbe oder Seehund nur erschöpft, ruht sich aus und verschwindet dann wieder in der Nordsee. Eine Störung des Tieres schadet ihm nur, deswegen gilt auch: Hunde an die Leine!
Im vergangenen Sommer – dann werden Seehunde geboren – waren es 250 „Heuler“, die von den Seehundbeauftragten der Kommunen und den Leuten der Naturschutzorganisationen an den Stränden gefunden wurden und dann ihre Reise an die Elbmündung antraten. „Die Aufzucht der Fundtiere dauert in der Regel, je nach Alter und Zustand der Tiere, zwei bis drei Monate. Dann werden sie nach einer Gesundheitsprüfung wieder in die Freiheit entlassen“, erklärt Tanja Rosenberger, Leiterin der Seehundstation Friedrichskoog.
„Unsere Tiere, die die Besucher bei uns beobachten können, konnten aus verschiedenen Gründen nicht ausgewildert werden. Derzeit leben fünf Seehunde und zwei Kegelrobben in den großzügig und naturnah angelegten, 800 m² großen, Seewasserbecken“, erklärt die Biologin. Die Tiere dösen oder jagen verspielt durch das Wasser. Die besondere Attraktion ist natürlich die Fütterung der dauerhaft in der Station lebenden Robbe, es gibt übrigens Hering.
Der Bestand an Kegelrobben in Schleswig-Holstein wird auf rund 800 Tiere geschätzt und der an Seehunden auf zirka 9.000 Tiere. Woran kann man denn nun Seehunde von Kegelrobben unterscheiden? „Erstens schon an ihrer Größe: Die Kegelrobbe ist mit bis zu 300 Kilogramm Gewicht bei den Bullen das größte Raubtier Deutschlands. Seehunde sind deutlich kleiner“, erklärt Tanja Rosenberger, „ausgewachsene Tiere wiegen bis zu 120 Kilo.“ Das größte Raubtier Deutschlands übrigens kann weit mehr als zwei Meter groß werden. Und an ihrem Aussehen, besonders an der Kopfform, kann sie jeder Gast während eines an der gesamten Nordseeküste Schleswig-Holsteins angeboten Schiffsausfluges zu den „Seehundsbänken“ erkennen: „Der Kopf der Kegelrobbe ist länglich, der des Seehundes eher rundlich geformt.“
Fachleute ziehen auch die Zähne dazu heran. „Apropos Gebiss: Wir sprachen über das größte Raubtier Deutschlands – aber auch der Biss eines Seehundes kann gravierende Folgen für den Menschen haben. Auch aus diesem Grund gilt: Halten Sie Abstand zu den Tieren, sollten Sie welche am Strand entdecken! Und auch wenn sie noch so träge aussehen – sie sind schneller als der schnellste Sportler.“ Man kann schließlich das Ausflugsschiff und ein Fernglas nehmen. Oder zurück nach Büsum fahren und sich dann nach Helgoland übersetzen lassen: Wieder zum Beispiel mit der Reederei Rahder, die „MS Lady von Büsum“ fährt rüber. Der Verein Jordsand und die Reederei bieten die Möglichkeit an, auch im Rahmen eines Tagesbesuches die Natur der Nachbarinsel Düne zu erleben und die Kegelrobben zu besuchen. Auf Helgoland angekommen, bringt ein Börteboot die Gäste vom Schiff direkt zur Düne, dort gibt es eine Führung.
Vor der Felseninsel draußen in der hohen See liegt die Düne, ihre kleine Schwesterinsel. Dort wurden in der vergangenen Wurfsaison mehr als 350 junge Kegelrobben geboren. Dort wächst Deutschlands Kegelrobbenpopulation; dorthin kommen die Tiere, um sich zu paaren, dorthin kommen sie, um zu werfen. „Kegelrobbenjunge werden im Winter geboren“, erklärt Rebecca Störmer, „Seehunde im Sommer.“ Sie leitet die Helgoländer Station des Vereins Jordsand (www.jordsand.de). Rebecca Störmer und ihre Mitarbeiter halten ein Auge auf die Kegelrobben. Und auf die Besucher: Besonders zur Wurfzeit von Ende November bis Februar liegen die Tiere so dicht am Strand, dass der Sicherheitsabstand von dreißig Metern zwischen Mensch und Tier kaum mehr eingehalten werden kann. „Dann heißt es umdrehen“, sagt Rebecca Störmer, „denn ein Ausweichen durch die geschützten Dünen ist nicht erlaubt.“ Aber einen naturkundlichen Lehrpfad haben die Helgoländer eingerichtet – um die Düne zu erleben und immer wieder Kegelrobben beobachten zu können. Im Winter gibt es zusätzlich einen Bohlenweg.
Die Jordsand-Leute bieten geführte Touren dorthin an, zur Wurfsaison natürlich mit dem Schwerpunkt auf den jungen Kegelrobben. „Aber auf der Düne kann man Kegelrobben jeden Alters und zu jeder Zeit sehen – vielleicht nicht immer tausend Tiere auf einem Mal, wie zum Fellwechsel im Frühling. Aber nirgendwo so gut wie hier“, sagt Rebecca Störmer. Nach dem Anlanden auf Düne verliert sich der Weg schnell in eben solchen. Wer Kegelrobben beobachten möchte, geht am Strand entlang.
Die Steine kollern in der kräftigen Brandung, hoch läuft die Nordsee auf. Schon bald sind erste Tiere auf dem Strand zu sehen. „Es sind Kegelrobben“, sagt Rebecca Störmer und hebt das Fernglas, „hier leben zwar auch Seehunde; aber da hinten, das sind Kegelrobben.“ Herrscht zur Wurfzeit, der darauffolgenden Paarungszeit und schließlich zum Fellwechsel ein ziemliches Geschiebe und Getöse am Strand, erscheint es in der übrigen Zeit relativ ruhig. Aber dennoch – es ist faszinierend, diese Tiere vor der wilden Brandung zu beobachten.
Ihr Gebiss im Gedächtnis und ihre unglaubliche Geschwindigkeit im Sinn; selbst bei dem gebotenen Mindestabstand ist auch ein Blick ohne Fernglas kein Verlust einer einmaligen Naturbeobachtung. „Die Tiere kommen hierher um sich auszuruhen und Sonne zu tanken. Helgoland liegt mitten im Lebensraum der Kegelrobben, sie können bei der Nahrungssuche immense Strecken zurücklegen“, sagt Rebecca Störmer, „aber an Land müssen sie trotzdem kommen – neben den großen, ungestörten Sandbänken vor den Inseln der deutschen Küste ist das hauptsächlich Helgoland.“
Plötzlich kommt Bewegung in eine Gruppe der massigen Tiere. Die Lage beruhigt sich schnell wieder, im Gegensatz zur Paarungszeit, wenn es hier mitunter ruppig zugeht. Stundenlang kann man um die Insel Düne streifen und immer schön den Blick auf die Tiere dahaben. Mit Abstand. Denn es ist Deutschlands größtes Raubtier. Und es ist ihr Reich.
An der Nordseeküste Schleswig-Holsteins gibt es zahlreiche Anbieter von Seehund-Ausflugsfahrten, sowie Möglichkeiten Seehunde und Kegelrobben aus nächster Nähe zu beobachten.