Interview mit einer Lechweg-Absolventin

Evelyn Friedle aus Haeselgehr im Tiroler Lechtal ©Carmen Kropf

Die 72-jährige Evelyn Friedle aus Häselgehr im Tiroler Lechtal hat den Lechweg zweimal in seiner gesamten Länge von 125 Kilometern absolviert. Die erfahrene Bergliebhaberin war bereits europaweit auf spektakulären Strecken wie dem E5, dem Franziskusweg oder dem schottischen West Highland Way unterwegs, kann sich aber für die grenzüberschreitende Fernwanderung von Deutschland nach Österreich besonders begeistern. Denn obwohl die Route unter anderem durch die eigene Heimat führt, durfte sie am sechsten Tag eine unglaubliche Erfahrung machen: „Plötzlich war das Gehirn still“. Was man auf einer Mehrtagestour sonst noch so erlebt, beachten und dabeihaben sollte, warum das Reisen in der Gruppe nicht nur Vorteile birgt und warum der Lechweg sogar für Kinder geeignet ist, erzählt die Pensionistin im Interview.

Wie oft sind Sie den Lechweg schon gelaufen?

Ich war bereits zweimal auf dem Lechweg unterwegs. Zuerst ging es im Frühling 2012 auf der 125 Kilometer langen Gesamtstrecke vom Formarinsee am österreichischen Arlberg bis zum Lechfall im bayerischen Füssen. Im Spätherbst 2020 bin ich erneut gestartet und von Warth/Vorarlberg bis Füssen im Allgäu gewandert. Außerdem habe ich zahlreiche Teilstrecken des Lechwegs im Rahmen von Tagestouren zurückgelegt.

Was ist Ihrer Erfahrung nach die beste Jahreszeit?

Ich würde jedem Lechweg-Wanderer raten, nicht zu früh im Frühling loszulaufen. Denn die ersten beiden, wirklich wunderschönen Etappen sind dann oftmals noch nicht begehbar. Je nachdem, wie schneereich der Winter war, können sich Mutige aber bei guten Wetterprognosen schon trauen, die Tour auf Mitte/Ende Mai bis Mitte/Ende Oktober zu legen. Auf der ganz sicheren Seite ist man im Zeitraum von Mitte Juni bis Anfang Oktober.

Sie haben schon mehrere Fernwanderungen absolviert. Welche Strecken waren das?

Ich bin bereits grenzüberschreitende Routen wie von Salzburg bis Triest und den E5 bis Verona gelaufen, außerdem den Coast Path in Cornwall, den Trockenmauerweg durch das Tramuntana-Gebirge auf Mallorca, den Adlerweg in Tirol, den Fischerweg in Portugal sowie viele mehr – und es werden nicht meine letzten Weitwanderungen gewesen sein. Wer einmal damit anfängt, wird süchtig.

Was sollten Fernwanderer unbedingt im Gepäck haben?

Eine einfache Faustregel besagt, dass man nicht mehr als 10 Prozent seines Körpergewichts tragen sollte. Im Lauf der Jahre wurde mein Rucksack immer leichter – denn wahrer Komfort ist, so wenig wie möglich dabei zu haben. Was unbedingt mit sollte, sind jeweils zwei Paar Socken, zwei T-Shirts und Unterwäsche zum Wechseln, denn in der Regel haben alle Unterkünfte Möglichkeiten zum Waschen und Trocknen. Außerdem braucht es eine Jacke, Regenkleidung sowie Wanderschuhe, die eingelaufen und bequem sind. Hinzu kommen Hygieneartikel in kleinen Döschen, Waschmittel sowie Pflaster und Schmerzmittel. Unterwegs hilft etwas Süßes oder ein Riegel, falls die Kraft mal nachlässt, darüber hinaus eine kleine, haltbare Reserve zum Essen und natürlich ausreichend zu Trinken.

Auf dem Lechweg ©Verein Lechweg Fabian Heinz
Ist der Lechweg eine gute Strecke für Weitwander-Novizen?

Absolut, denn beinah alle Pfade lassen sich ohne größere Schwierigkeiten bewältigen. Überall entlang der Route liegen Häuser, falls man Hilfe braucht. Außerdem sind Landschaft und Natur wunderbar, das Klima ist angenehm mild und nicht zu heiß zum Wandern. Und noch ein wichtiges Detail: Es gibt überall Telefonverbindung und zahlreiche Einkehrmöglichkeiten.

Wie bereitet man sich körperlich auf den Lechweg vor?

Für den Lechweg braucht es nur ganz wenig Training. Es reicht schon, wenn man ein paar Wochen vorher beginnt und einfach jeden Tag eine halbe Stunde spazieren geht. Man kann die Etappen auch je nach Kondition auswählen, da immer wieder Ortschaften zum Übernachten am Weg liegen.

Wander-App, GPS-Tracks, digitales Kartenmaterial. Was braucht es an technischen Hilfsmitteln für den Lechweg – und was nicht?

Da der Lechweg durchgängig beschildert ist, benötigt man höchstens das kleine Gratis-Heft mit der Beschreibung des Wegs, das in den örtlichen Tourismusbüros ausliegt. Alles andere ist Spielerei.

Lechweg gehen – allein, zu zweit oder in der Gruppe? Was ist Ihre Erfahrung?

Mein erster Lechweg fand in Begleitung einiger Frauen statt, wir kennen uns sehr gut und es war ein besonderes Erlebnis. Allerdings muss man in der Gruppe das Tempo stets an die anderen anpassen. Es ist also definitiv ein Vorteil, wenn alle ungefähr über die gleiche Kondition verfügen. Alle anderen Fernwanderwege bin ich mit einer langjährigen Freundin gegangen. Wir haben einen ähnlichen Rhythmus, das ist wunderbar. Aber auch wenn man allein auf einem Weitwanderweg unterwegs ist, lernt man viele Leute kennen und daraus ergeben sich immer interessante Begegnungen. Oft sitzt man dann sogar noch gemütlich beim Abendessen zusammen.

Und in dem Zusammenhang: Lechweg individuell organisieren oder pauschal buchen? Beziehungsweise würde es auch funktionieren, einfach loszumarschieren, ohne vorher etwas geplant zu haben?

Ich für meinen Teil bin viele Wege gegangen, ohne vorher eine Unterkunft zu buchen. Das ist allerdings nicht immer möglich und hängt von Jahreszeit sowie Gegend ab. Es ist uns auch schon passiert, dass wir nirgendwo mehr untergekommen sind und dann bis zu sechs Kilometer zurücklaufen mussten. Seither finde ich es stressfreier, die Unterkunft schon im Voraus zu organisieren. Wer keine Lust hat, die Route selbst zu planen, der kann die Wanderung mit einem Spezialveranstalter unternehmen – inklusive Gepäcktransport.

Sie sind den Lechweg schon häufiger gegangen. Was hat das Weitwandern mit Ihnen gemacht?

Ein renommierter Neurologe hat im Rahmen eines ORF-Interviews einmal gesagt, dass das Gehirn immer denken muss, ob es will oder nicht. Dieser These muss ich widersprechen: Auf dem Lechweg bin ich fünf Tage gewandert, ohne viel mit anderen Leuten zu reden. Dabei hat mein Gehirn ununterbrochen gearbeitet. Am sechsten Tag war es auf einmal still – es hatte sich „ausgedacht“. Das ist eine unglaublich positive Erfahrung, die man weder in der Gruppe noch bei einer eintägigen Bergtour machen kann.

Was ist in Ihren Augen der bessere Startpunkt: Füssen oder der Arlberg?

Der Lechweg-Startpunkt ist in meinen Augen auf jeden Fall besser am Arlberg. Denn man geht in der Fließrichtung des Wassers und somit nicht gegen die Natur.

Lechweg mit Kindern – gute oder Schnaps-Idee?

Für Kinder ab acht Jahren ist der Lechweg leicht zu bewältigen. Da es nicht zu steil ist, verlieren sie auch nicht die Freude am Wandern. Vielmehr sind sie stolz über ihre Leistung. Allerdings sollte man genug Zeit einplanen, auch mal an einem Bach zu rasten und sie dort spielen zu lassen.

Welche Entdeckungen am Wegesrand des Lechwegs sollte man keinesfalls versäumen?

Die aussichtsreiche Bank am Beginn des Lechwegs ist dank des weiten Blicks über den Formarinsee am Arlberg wunderschön. In Holzgau/Tiroler Lechtal sollte man selbstverständlich die spektakuläre Hängebrücke nicht verpassen. Einen Besuch wert ist auch die Käserei in Steeg. Last but not least markiert der Füssener Lechfall ganz zu Recht das beeindruckende Finale des Lechwegs. Aber eigentlich gibt es zu jeder Minute des Tags viele grandiose Ausblicke, die man einfach genießen sollte.

Gibt es noch weitere Weitwanderwege, die Sie besuchen wollen?

Mein nächstes Projekt ist der Berge-Seen-Trail in Salzburg, außerdem plane ich schon länger den Coast Path weiter zu wandern.

Das Interview führte Jessica Thalhammer