Die Sehenswürdigkeiten der grünen Insel sind schön, und auch deshalb bei den Besuchern begehrt. Zum Glück gibt es weniger trubelige Alternativen.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Cliffs of Moher sind eine Wucht! Wie die zwischen 120 und 214 Meter hohen Klippen an der irischen Westküste ins Meer ragen, ist großartig. Kein Wunder, dass viele Menschen dieses Naturschauspiel sehen wollen. Es sind sogar sehr viele. Mehr als 1,3 Millionen Besucher zählte man 2023, an manchen Tagen im Sommer kamen mehrere Zehntausend. Und selbst wenn die sich auf den Wegen, der Plaza und im zugegebenermaßen großartig in einen Hügel integrierten Besucherzentrum durchaus verteilen, muss man feststellen: Der Zauber der Natur büßt etwas ein, wenn man auf einen XXL-Parkplatz voller Autos und Reisebusse guckt und man sich an neuralgischen Stellen schwertut, mal keinen fotografierenden Menschen aufs eigene Bild zu bekommen. Wen dieses teils quirlige Ambiente, die (sinnvollen) Absperrungen und das Abdrücken eines Obolus nicht stört, muss jetzt nicht weiterlesen. Wenn doch: Es gibt hochwertige Alternativen! Und das gilt auch für viele andere Top-Sehenswürdigkeiten Irlands. In zwei Teilen stellen wir die beliebtesten Spots der grünen Insel und ihre weniger bekannten Alternativen vor:
Slieve League Cliffs statt den Cliffs of Moher
Was dramatische Klippenkulissen anbelangt gibt es auf der grünen Insel sogar richtig viel Auswahl – und bei quasi allen ist es lang nicht so voll, manche genießt man sogar für sich allein. Das ist bei den bis zu 90 Meter hohen Cliffs of Kilkee zwar meistens nicht der Fall, dafür befinden sich diese nicht weit von den Cliffs of Moher entfernt – eine gute Alternative, falls einen die vollen Parkplätze abschrecken. Um zu den Slieve League Cliffs im County Donegal zu gelangen, muss man zwar etwas weiter fahren, doch der Weg lohnt sich. Erstens ist dort wenig los, zweitens kosten sie keinen Eintritt und drittens sind diese Klippen fast dreimal höher als die Cliffs of Moher. Mit einer Höhe von bis zu 601 Metern gehören sie gar zu den höchsten Meeresklippen Europas. Tipp für besonders mutige Zeitgenossen: Die Klippen lassen sich auf einem schmalen Grat, dem „One Man’s Path“, überqueren. Aber Achtung: Nur für Geübte und Schwindelfreie!
Mizen Head statt Ring of Kerry
Ungezählt sind die Touristen, die jedes Jahr, insbesondere im Sommer, den 179 Kilometer langen Ring of Kerry befahren. Es dürften Hunderttausende sein, die mitunter für einen regelrechten Stau sorgen. Kein Wunder: Die ebenso kurven- wie aussichtsreiche Rundtour landet regelmäßig in den Top Ten der weltschönsten Panoramastraßen. Derweil geht es auf der gar nicht so weit entfernten Mizen-Halbinsel in puncto Landschaft noch dramatischer zu. Dass es sich hier nicht so ballt, liegt weniger an der Kulisse – Klippen, die ikonische Brücke zur Signalstation und das Besucherzentrum sind großartig – als an der herausfordernden Erreichbarkeit des südwestlichsten Punkts Irlands. Am Ende der recht engen Sackgassenstraße geht es gar nur noch zu Fuß weiter – ein Traum für Entdecker!
Gobbins Path statt Carrick-a-Rede Rope Bridge
Wie einst Lachsfischer die Carrick-a-Rede-Seilbrücke in Nordirland in rund 30 Meter Höhe zwischen Festlandsklippen und der vorgelagerten, nicht minder steilen Insel gespannt haben, ist stark. Noch stärker: Dass man diese heutzutage auch als Nicht-Fischer benutzen kann. Doch es gibt einen Haken. Um die aufregende Schaukelpartie in der aufragenden Landschaft nutzen zu können, heißt es mitunter lange anstehen. Kein Wunder, passen doch immer nur ein paar Fußgänger drauf (die auf demselben Weg ja auch wieder zurückwollen). Mehr Auslauf verspricht der 2015 wiedereröffnete Gobbins Path, der ebenfalls an der nordirischen Küste liegt, nur dass die Klippen hier noch höher ragen. Auf einer atemberaubenden, im Vergleich zum über 100-jährigen Originalweg leicht veränderten, Strecke geht es treppauf, treppab, mal über Brückchen, mal durch Felsspalten, aber immer nah an der Gischt, nah am Abenteuer, nah an der Steilwand. Prädikat: eindrucksvoll, aber nicht so voll!
Ulster Museum statt Titanic Museum
Zugegeben: Ebenso wie das wohl berühmteste Kreuzfahrtschiff der Geschichte ist auch das sich eben darum drehende Titanic Belfast einzigartig. Verständlich, dass sich das multimediale Spektakel zu Nordirlands meistbesuchter Sehenswürdigkeit entwickelt hat, 800.000 Menschen lösten 2023 ein Ticket. In Stoßzeiten – nämlich wenn nebenan ein, genau, Kreuzfahrtschiff anlegt – kann es sich da durchaus knubbeln. Wem das zu eng wird (oder wer kein Ticket mehr bekommt), findet mit dem Ulster Museum einen hochwertigen Ausstellungsersatz. Ebenfalls in Belfast gelegen, beherbergt es auf mehr als 8.000 Quadratmetern tausende Werke moderner Künstler, historische und archäologische Sammlungen sowie die ständig erneuerte Kunstgalerie. Da ist viel Platz für alle – und im Gegensatz zur Titanic Experience ist es auch noch kostenlos!
Burren im County Cavan statt im County Clare
Grüne Insel, mal ganz ungrün: Die baumarme, mondähnliche Burren-Karstregion im County Clare wirkt fast wie ein falsch abgeliefertes Landschaftspaket. Eines, das J.R.R. Tolkien angeblich zum „Herr der Ringe“ inspiriert hat, insbesondere das kilometerlange Höhlensystem Pollnagollum. Die XXL-Kalkrechtecke regen indessen die Fantasie der meisten Gäste an, nicht zuletzt dank der exotischen und gar nicht öden Flora aus mediterranen, arktischen und alpinen Pflanzen. Kein Wunder, dass das zunehmend Botaniker, Wanderer und Naturliebhaber anzieht. Die dürften sich indessen auch für den Namensvetter im nördlicher gelegenen County Cavan interessieren. Hier lassen sich ebenfalls geologische Besonderheiten am laufenden Band finden, aber weit weniger Menschen – ideal für alle, die die tolkienhafte Natur auf den rund zehn Kilometer langen Wanderwegen des Burren im County Cavan für sich genießen wollen. Wo die verlaufen und wo sich besonders attraktive geologische und prähistorische Stellen befinden, veranschaulicht ein kleines Besucherzentrum.
Mellifont Abbey statt Rock of Cashel
Der Rock of Cashel, seines Zeichens nationales Wahrzeichen, trägt den Beinamen „The high king of Irish monuments“. Wie es zu solcher Ehre kommt? Zum einen aufgrund des stattlichen Äußeren, wobei der idealtypische Rundturm durch die exponierte Lage 65 Meter über der Stadt Cashel noch besser zur Geltung kommt. Zum anderen wegen der vielen Geschichten, die sich um Clans, Erzbischöfe sowie die im 4. Jahrhundert hier regierenden Könige von Munster ranken – und den Teufel. Angesichts von mehr als 350.000 Besuchern pro Jahr geht es hier mitunter auch teuflisch zu. Trubel muss man bei rund 30.000 Gästen in der Mellifont Abbey im County Louth nicht fürchten. Wie der Rock of Cashel entführt auch Irlands älteste Zisterzienser-Abtei Besucher in eine ferne Vergangenheit. Mit dem aus dem 13. Jahrhundert stammenden Lavabo, dem achteckigen Waschraum der Mönche, beherbergt es eines der schönsten Beispiele zisterziensischer Architektur auf der Insel. Dass es das nicht zum Wahrzeichen geschafft hat, hat in dem Fall auch Vorteile: weniger Andrang, dafür mehr Ruhe und mehr Mystik.
Camden Street statt Temple Bar
Auf die Frage nach Dublins bekanntestem (Ausgeh-)Viertel würden die meisten wohl antworten: Temple Bar. Ist ja auch berauschend, wie viele Restaurants, Galerien, Geschäfte und vor allem Pubs sich hier ballen. Da ist auf den kopfsteingepflasterten Sträßchen an manchen Wochenenden fast kein Durchkommen mehr. Wer diesem XXL-Trubel entfliehen, aber dennoch etwas erleben will, findet mit der gerade einmal 15 Gehminuten entfernten Camden Street eine interessante Alternative. Das Magazin „Time Out“ wählte die Gegend kürzlich gar unter die 30 coolsten Stadtviertel der Welt. Begründung: Camden Street samt Umgebung habe sich einen „schnörkellosen, postmodernen Charakter“ bewahrt und zeichne sich durch „unprätentiöse Pubs, politische Straßenkunst und eine lebhafte Restaurantszene“ aus. Top-Tipps stellen das „Bleeding Horse Pub“ oder das für seine Comedy-Abende bekannte „Anseo“ dar.
Cahir Castle statt Blarney Castle
Seit mehr als fünf Jahrhunderten heißt es, ein Schmatzer auf den Blarney Stone im gleichnamigen Schloss verleihe die Gabe der Redegewandtheit („Gift of the Gab“). Angeblich sei man danach nie mehr sprachlos. Andererseits kann einem vor Ort genau das schon mal passieren, angesichts voller Busparkplätze und Heerscharen von Touristen – 2023 waren es fast eine halbe Million. Gerade einmal ein Fünftel davon suchte Cahir Castle im benachbarten County Tipperary auf. Derweil gilt die nur 80 Kilometer entfernte, trutzige Anlage aus dem 12. Jahrhundert als eine der schönsten und am besten erhaltenen mittelalterlichen Festungen Irlands. Offenbar wissen nur wenige, wie sehenswert Wach- und Wehrtürme sind, die Lage auf einer Insel im Fluss Suir ist es sowieso – und als Krönung gibt es eine audiovisuelle Show obendrauf.
Wild Nephin statt Killarney National Park
Irland beheimatet sieben Nationalparks sowie einen maritimen Nationalpark, wobei es die meisten in den Wicklow-, in den Burren- und mehr noch in den Killarney National Park zieht. Seine Nähe zum Ring of Kerry sorgt ebenso wie die Fußläufigkeit von der Stadt Killarney aus mitunter zu einem gewissen Andrang, insbesondere bei sonnigem Wetter. Da können Seen und Berge noch so schön sein: Wenn zu viele andere Besucher, von denen viele gar keine Wanderer sind, die Sicht versperren, verliert jede Wildnis ihren Reiz. Einsamere Naturabenteuer verspricht da der gut mit dem Bus von Westport aus erreichbare Wild Nephin National Park. Spannend ist das im Nordwesten des Wild Atlantic Way gelegene 150-Quadratkilometer-Schutzgebiet indessen nicht nur für Wanderer, sondern auch für Sternengucker. Schließlich ist eines der größten Moorgebiete Europas fast deckungsgleich mit dem Mayo Dark Sky Park, dem 2016 der Gold-Status unter den International Dark Sky Parks verliehen wurde. Eine Sehenswürdigkeit, bei der es garantiert keinen Besucherstau gibt.
Boatyard Distillery statt Bushmills Distillery
Irland ist Whiskeyland – und die Old Bushmills Distillery im Hinterland von Belfast eine der beliebtesten Pilgerstätten für Freunde der starken Spirituose. Rund 1000 Besucher pro Tag wollen sich in der Hauptsaison von der ältesten Whiskeybrennerei der Insel, womöglich gar der Welt, ein Bild machen. Was sie auch machen wollen: eine Verkostung. Die gibt es aber auch in deutlich familiärerem Rahmen. Schließlich sind auf der Insel mittlerweile rund 40 Destillerien zugange, allein die Hälfte davon verfügt über ein eigenes Besucherzentrum und bietet Führungen und Tastings an.
Das tut auch die jüngst eröffnete Mc Connell’s Distillery. Sie ist in zudem in einem historisch bedeutsamen Gebäude untergebracht, dem berühmten Crumlin Road Gaol. Das ehemalige Gefängnis bietet den würdigen Rahmen für einen traditionsreichen Whiskey. Denn die Marke McConnell’s geht auf das Jahr 1776 zurück, noch bevor Old Bushmills ab 1784 seinen Betrieb aufnahm. Allerdings stellte McConnell’s seine Tätigkeit 1938 ein, wähend Bushmills durchgehend destillierte.
Hamilton’s Seat statt Giant’s Causeway
Der Giant’s Causeway ist Nordirlands erste UNESCO-Welterbestätte. Vulkanische Aktivitäten haben hier vor Jahrmillionen etwa 40.000 irre Basaltsäulen am Ufer geformt – auch wenn der Legende nach der Riese Fionn McCumhaill dafür verantwortlich war. So oder so wollen das Küsten- und Felsspektakel hunderttausende Besucher pro Jahr sehen – 2023 waren es über 650.000. Da kann es insbesondere auf den ikonischen Felsen schon mal ordentlich zugehen. Gut zu wissen: Man muss noch nicht einmal ins Auto steigen, um in Nullkommanix dem Gewusel zu entkommen. Schon ein paar Meter hinter den Basaltsteinen, spätestens aber hinter der rund 25 Meter hohen Basaltformation namens „Orgel“, wird es deutlich leerer, schließlich sogar richtig einsam. Das Tolle: Zum einen ist der am Giant’s Causeway beginnende, sieben Kilometer lange Rundwanderweg relativ einfach und zeichnet sich zum anderen mit einer spektakulären Meeraussicht auf dem gesamten Weg aus. Der beste Aussichtspunkt heißt Hamilton’s Seat und ist nach rund einer Dreiviertelstunde erreicht. Manche sagen, dass die Kulisse am Benbane Head und hoch über dem Wasser sogar noch ergreifender ist als die am Giant’s Causeway – einsamer ist es auf alle Fälle!