Livigno ist nicht nur hinsichtlich seines Outdoorsport- und Kulinarikangebots einzigartig, es ist vor allem aufgrund seiner Historie, des zollfreien Status und der daraus entstandenen Kultur eine besondere Alpenregion.
Eigentlich liegt Livigno in Italien. In der Lombardei. Eigentlich. Denn irgendwie ist es auch so gar nicht typisch italienisch: Die klassische italienische Polenta (ursprünglich aus Maisgries) wird hier unter anderem um Buchweizen erweitert und auch die traditionelle Sprache „Livignasco“, die noch heute gesprochen wird, ist keine Mundart des Italienischen, sondern ein taleigener Dialekt, der von der rätoromanischen Sprachfamilie abstammt. Das liegt hauptsächlich an der exponierten Lage Livignos, beziehungsweise an seiner „Zwischenlage“. Eingebettet zwischen der Schweiz und Italien. Auf 1.816 Metern Höhe. Zugänglich nur durch zwei Pässe und einen Tunnel – heute. Denn das war nicht immer so.
Zollfreie Zone
Das Tal ist seit 1.000 n. Chr. bewohnt, anfangs nur aus militär-strategischen Gründen. Im 17. Jahrhundert wurde dem Dorf dann die rechtliche und wirtschaftliche Autonomie durch die Bündner Herrscher des Veltlins verliehen. Aufgrund der exponierten Lage hat Napoleon Livigno 1805 zudem zur zollfreien Zone erklärt – um sicher zu gehen, dass das Tal ganzjährig bewohnt wird. 1818 wurde diese Entscheidung von Österreich-Ungarn anerkannt und schließlich 1910 von Italien sowie 1960 von der Europäischen Gemeinschaft bestätigt. Dieser zollfreie Sonderstatus besteht bis heute und lockt nicht nur Sommer wie Winter zahlreiche Shoppingliebhaber ins Tal, er hat auch schon früh Schmuggler angezogen. Noch heute zeugen davon die Namen der Wanderwege.
Piccolo Tibet
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal Livignos ist seine geographische Lage. Umragt von den Bergmassiven des Engadins und dem Alta Valtellina war Livigno bis 1951 rund sechs Monate von der Außenwelt abgeschnitten. Die italienischen Pässe waren zugeschneit und eine Verbindung in die Schweiz gab es zu der damaligen Zeit noch nicht. So waren die Bewohner Livignos auf sich selbst gestellt. Die einzigartige Natur, die Hochebene für die Livigno heute von Urlaubern und Outdoorsportlern gleichermaßen geschätzt wird, verdammte die Menschen früher zur Einsamkeit. Durch diese Abgeschiedenheit und weil es dadurch als unechte Enklave bezeichnet wurde, erhielt Livigno mit der Zeit den Spitznamen „Piccolo Tibet“ (dt. „Klein-Tibet“). Heute wird der Passo di Foscagno, der Richtung Bormio führt, auch im Winter geräumt. Außerdem ist das Tal seit den 1960er Jahren über die Schweiz durch den mautpflichtigen Munt-la-Schera-Tunnel, sowie im Sommer über den Berninapass erreichbar. Livigno ist heute zwar ganzjährig erreichbar, dennoch hat sich die besondere Kultur, die sich hier durch die Abgeschiedenheit entwickelt hat, bis heute bewahrt.
Gelebte Traditionen und der Tourismus
Die landschaftliche Schönheit, die weite Talsohle und die gleichförmigen umliegenden Berge, deren Lawinen wohl einst die Namensgeber Livignos waren (Livigno ist eine Abwandlung des Begriffs „lavina“, der so etwas wie „Schneelawine“ bedeutet), haben auch die kulturhistorischen Entwicklungen im Tal geprägt. Ursprünglich war Livigno ein klassisches Straßendorf. Alle Häuser standen in der Talsohle länglich aneinandergereiht, aber trotz allem etwas verstreut in der Nähe der Weiden. So wurden lange Transportwege vermieden und die Lawinengefahr minimiert. Außerdem lag ein gewisser Abstand zwischen den Häuser, damit im Brandfall die Funken nicht überspringen konnten. Das Wohnhaus und das kleine, dazugehörige Nebengebäude wurden in ihrer Bauweise an das raue Klima und die lokale Holzverfügbarkeit angepasst. Traditionelle Häuser fertigten die Livignasci komplett aus Holz. Erst neuere Gebäude verfügen über einen gemauerten Wandsockel und mit dem wachsenden Tourismus änderte sich auch die Dorfstruktur. Die Gebäude wurden dichter aneinandergebaut und so rückten auch die Bewohner enger zusammen. Das Leben in den einzelnen Familien wandelte sich zu einem Leben im Dorf. Aufgrund ihrer exponierten Wohnlage wurden aus den Bewohnern über die Jahre Tüftler und Selbermacher, die zum Beispiel im Jahr 1953 den ersten Skilift aus einem alten Otto-Motor gebaut haben. Der erste kommerzielle Lift im Tal wurde dagegen erst in den 80er Jahren in Auftrag gegeben.
MUS!
Erfindungen wie diese sind heute im Heimatmuseum MUS! ausgestellt. Das Museum von Livigno und Trepalle veranschaulicht den Erfindergeist der Bewohner sowie die Unterschiede, die sich dadurch in Sprache, Traditionen, Nahrung und Kleidung zu den Nachbargemeinden ergeben haben. Aber auch die Innovationen, die hinter dem Wandel zu einem bedeutenden Urlaubsort stecken, werden hier vorgestellt. Livigno-Gäste können im Sommer vom 26. Juni bis 2. Oktober, immer Dienstag bis Samstag von 10 bis 12 Uhr und von 15 bis 19 Uhr in dieses Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne im MUS! eintauchen. Der Eintritt kostet für Erwachsene 3,50 Euro und für Kinder, Jugendliche und Senioren 2,50 Euro. Führungen können im Tourismusbüro oder direkt im Museum gebucht werden. Weitere Informationen unter: www.sistemamusealevaltellina.it und www.livigno.eu .