Wo endet der Garten? Wo fängt die Wiese an? Der Holzzaun am Hang ist keine echte Grenze. Üppig wuchert es dies- und jenseits. Rosemarie Kranabetter lächelt: „Ja, wir haben vieles, was hier wild wächst, bewusst angepflanzt.“ Den gelben Frauenmantel, den violetten Thymian, den Rotklee. Die Kräuterexpertin kommt in Jeans und geblümtem T-Shirt in schnellen Schritten vom Bauernhaus in den etwas oberhalb gelegenen Garten. Da wachsen auf 1000 m2 von Liebstöckl über Johanniskraut bis zu Seltenheiten wie Brotklee mehr als 3000 Kräuter. Täglich wird geerntet. Beispielsweise für den Bergkräutertee, Rosemaries Lieblingsmix aus Pfefferminze, Verbene, Zitronenmelisse und Holunderblüte. „Alles, was rund um mein Haus wächst“, erläutert die Bäuerin, deren Hof 1150 Meter hoch liegt und gern von Wanderern angesteuert wird, die den Garten besichtigen wollen. Dann serviert sie zwischen Hofarbeit und Kräuterernte auch noch eine zünftige Brotzeit. „Alleine würde ich das gar nicht schaffen. Ich bin froh über die vielen Helfer.“ Diese Energie der Gemeinsamkeit gehe mit ein in den Tee, meint Rosemarie und lächelt dankbar.
Sie war sofort dabei, als vor 20 Jahren die Idee zum Kräuterdorf geboren wurde. Seitdem sind viele Bewohner des 2000-Seelen-Dorfes Irschen im Kärntner Drautal dazu gekommen, entwickelten Ideen und Know-how. Organisiert wird alles vom Kräuterdorf-Marketingverein. 60 Irschener produzieren für ihn inzwischen: vom Lavendel-Hopfenkissen für guten Schlaf bis zum Sirup aus Löwenzahn. Wie die Kräuter das Dorf zusammenschweißen, spüren Besucher vor allem im Pfarr-Stadl, dem ehemaligen Heuschober des Pfarrers gleich neben der Kirche. Sozusagen das Logistik-Zentrum mit Verkaufstresen, Teestube und vielen Regalen im Erdgeschoss und einem kleinen Kräutermuseum oben. Es duftet nach Holz und geht quirlig zu.
Aber Monika Oberlojer behält den Überblick. „Habt ihr noch einen Muskatellersalbei?“ fragt eine Besucherin, die mit dem Kneippverein aus der Steiermark angereist ist. Monika schaut mal bei den Pflanztöpfen nach, während Martina Lanzer Tee ausschenkt und über die Schulter hinweg auch noch die Antwort auf die Frage parat hat, welche Creme gut für trockene Haut ist: „Die mit Nachtkerzenöl.“ Und wenn der Kneippverein später zum Tee Aprikosenkuchen genießen kann, dann hat den auch eine der Frauen gebacken. „Wir quatschen nicht nur über Gemeinschaft, wir leben sie“, kommentiert Annette Wallner. Auch eine, die sich den Kräutern verschrieben hat und kundig in Sachen Räuchern ist. Und weil hier jede alles macht, führt Annette die Kneipp-Damen von einer Kräuter-Attraktion zur nächsten, vom Kräuterkraftkreis zum Heilgarten der Alpen, alles nur wenige Schritte im Dorf voneinander entfernt. Dabei kann sie viel erzählen über Kräuter und ihre Anwendungen.
Monika hat keine Zeit zum Erzählen. Sie muss Seifen holen: „60 haben wir heute verkauft“, freut sie sich. Für den Nachschub sorgt Alexandra Regenfelder. Die 43-Jährige liebt Seife. Schon in ihrer Zeit als Köchin in noblen Hotels war sie auf die Stücke scharf. Das ist lange her, jetzt hat sie ihre eigene Seifensiederei etwas weiter die Dorfstraße entlang. Ein kleines Haus mit Ferienwohnung oben und unten der Werkstatt. Lavendel-violett und Weiß herrschen hier und in dem kleinen Verkaufsraum vor. Überall duftet es zart nach den Ingredienzien: Veilchen, Ringelblume, Zirbenkiefer. Seifen wie Törtchen in Knallrosa und Badepralinen in Pastelltönen stapeln sich in den Regalen. Alexandra gibt hier Kurse, aber am liebsten sind ihr die kreativen Momente: „Es ist eine wunderschöne Arbeit, wenn ich mit den Blüten experimentiere.“
Der Tourismusverein beschäftigt für die Kräuterarbeit inzwischen fünf Frauen. Eine von ihnen ist Renate Tiefnig. Sie steht gut gelaunt in einem großen Raum mit gestapelten Pappkartons. In denen trocknen die Kräuter. Renate packt sie in Tüten und versieht sie mit einem Aufkleber: „Irschner Wohlfühltee“: Minze, Schafgarbe, Him- und Brombeerblätter. „Gerade für uns Mütter ist es toll, im Dorf einen Job zu haben. So viele Alternativen gibt es hier nicht.“ Worauf Renate besonders stolz ist: „Alles ist handgefertigt und im Kräuterdorf hergestellt.“ Da ist die Grenze ganz eindeutig.