Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit wurde letztes Jahr eine zweite Fahrrinne im Suezkanal eröffnet. Und das, obwohl an den Eröffnungsfeierlichkeiten Regierungsvertreter aus aller Welt teilnahmen – von Frankreichs Präsident François Hollande, über Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras und Russlands Ministerpräsident Dimitri Medwedew bis zum deutschen Vizekanzler Sigmar Gabriel.
Dieses Milliardenprojekt wurde in Rekordzeit realisiert. Wenngleich die Planer drei Jahre Bauzeit avisiert hatten, wurde die Kanalerweiterung auf Druck des Präsidenten Sisi innerhalb eines Jahres fertiggestellt. Das Projekt kostete 8,4 Milliarden Dollar.
Bisher konnte der Kanal nur in einer Richtung und nur im Konvoi durchfahren werden, entgegenkommende Schiffe mussten in der Mitte warten. Nur dort war der Kanal so breit, dass die Schiffe sich begegnen konnten. Jetzt wurde die Wasserstraße durch eine Parallelstrecke von 35 Kilometern erweitert, sowie auf einer Länge von 37 Kilometer in der Breite verdoppelt und vertieft. So können nun Schiffe mit Tiefgang bis zu 20 Metern den Suezkanal in entgegen gesetzter Richtung parallel passieren.
45.000 Arbeiter und Ingenieure waren zu Spitzenzeiten gleichzeitig auf den Baustellen des Suezkanals beschäftigt. 508 Millionen Kubikmeter Sand und Geröll wurden aus dem Weg geräumt, um die neue Kanalspur anzulegen. Insgesamt ließe sich mit dem Aushub der Königssee im Berchtesgadener Land zuschütten. Die 8,4 Milliarden Dollar, die das Projekt kostete, beschaffte die Nationalbank in nur acht Tagen. Dabei handelt es sich ausschließlich um ägyptisches Geld. Kairo ließ die ägyptische Bevölkerung Anteilsscheine zu einem Zinssatz von zwölf Prozent zeichnen, welche innerhalb weniger Tage vergriffen waren.
Durch die Erweiterung erhofft sich Ägypten Milliarden Mehreinnahmen durch Devisen und eine bessere Wettbewerbssituation. Denn gemeinsam mit dem ebenfalls erweiterten und ausgebauten Panamakanal und dem in Nicaragua in Bau befindlichen neuen Kanals zwischen Pazifik und Atlantik konkurriert Ägypten um die Schifffahrtsgesellschaften, die ihre Waren von Südostasien an die US-Ostküste oder Europa transportieren. So ersparen die 193 Kilometer zwischen den ägyptischen Häfen Port Said und Suez einen bis zu 9800 Kilometer langen Seeweg rund um Afrika. Das stellt einen deutlichen Zeitgewinn und auch eine Einsparung von circa 44 Prozent CO2 lt. der Containerreederei CMA CGM dar.
17148 Schiffe passierten im Jahr 2014 den Suezkanal, fast ein Viertel des weltweiten Warenschiffsverkehrs und etwa acht Prozent der auf der Welt verschifften Handelsgüter. Die Zahl der Schiffe, die täglich den Kanal passieren, soll sich in den nächsten acht Jahren verdoppeln und die Durchfahrtzeit von 22 auf elf Stunden reduziert werden. Rund um die neue Spur sollen ein riesiges Industriegebiet und Logistikzentrum entstehen. Aber auch touristisch möchte man den Suezkanal nutzen und für Touristen, die sich im nahen Kairo aufhalten, attraktiv gestalten. So soll das touristische Angebot rund um Ismailia ausgebaut und auch Schiffsausflüge auf dem Kanal angeboten werden. Alles in allem verspricht sich die Regierung für die nächsten 15 Jahre eine Million neue Jobs.
Kaum etwas ist so wichtig für Ägyptens Nationalstolz wie der Suezkanal mit seiner bewegten über 150-jährigen Geschichte, der eine Trennlinie zwischen dem eigentlichen Festland Ägyptens und der Halbinsel Sinai bildet, und somit auch die Grenze zwischen Afrika und Asien ist. Für das Land verkörpert er Ägyptens Bedeutung in der Welt ebenso wie die Selbstbehauptung gegen äußere Feinde. Ferdinand Lesseps, ein französischer Diplomat im Ruhestand, überredete 1854 den ägyptischen Vizekönig Muhammad Said, die Wasserstraße anzulegen. 1859 begann der Bau, der zehn Jahre dauerte. Tausende Ägypter kamen bei der Arbeit in der Wüste ums Leben. Saids Neffe Ismail, der dem ägyptischen Vizekönig nach dessen Tod im Jahre 1867 nachfolgte und sich der Modernisierung des Landes nach europäischem Vorbild verschrieb, häufte immense Schulden an. So lieferte er Ägypten an die Briten und Franzosen aus: London erwarb die ägyptischen Anteile am Suezkanal und sicherte sich die Kontrolle über die Wasserstraße.
Nasser, der 1952 an die Macht gelangte, wollte den Suezkanal wieder unter ägyptische Hoheit bringen und Ägypten in die Unabhängigkeit von Großbritannien und in die Moderne führen. Er fasste den Plan, die Suezkanalgesellschaft, ein in Frankreich registriertes Unternehmen, das mehrheitlich den Briten gehörte, zu verstaatlichen. Er setzte darauf, dass ihm genug Zeit bleiben sollte, eine diplomatische Lösung zu erreichen, bevor Briten und Franzosen militärisch intervenierten. Der Startschuss für die Besetzung der Büros der Kanalgesellschaft fiel während einer Rede Nassers am 26. Juli 1956 – das Codewort lautete Ferdinand Lesseps. Die geplante Reaktion Israels, Frankreichs und Großbritanniens schlug jedoch fehl. Israel sollte den Suezkanal bedrohen, die Ägypter provozieren und so Briten und Franzosen den Vorwand liefern, ein Ultimatum zu stellen, das den Abzug beider Seiten forderte. Militärisch hatte Nasser dem Angriff der israelischen und später auch britischen und französischen Truppen nichts entgegenzusetzen. Doch auf Druck Washingtons und Moskaus mussten die Angreifer wieder abziehen. So kommt es, dass die Kanalgesellschaft bis heute einen maßgeblichen Teil der ägyptischen Staatseinnahmen erwirtschaftet und viele Unternehmen in ihrem Fahrwasser zum Imperium des herrschenden Militärs gehören.
Nun muss es sich zeigen, ob sich die Hoffnungen auf Mehreinnahmen und neue Arbeitsplätze erfüllen werden. Der weltweite Handel wächst zwar derzeit pro Jahr. Jedoch infolge der globalen Finanzkrise nicht in dem Maße, wie von Ägypten erhofft. Auch ist es fraglich, ob die Zeitersparnis von einem Tag die Passage so viel attraktiver macht, dass der Kanal zusätzliche Schiffe anziehen kann, die bislang andere Routen nutzten.
Die gewaltige Investition Ägyptens ist also eine Wette auf die Zukunft – und die Entwicklung der Weltwirtschaft. Wollen wir für die ägyptische Bevölkerung hoffen, dass die Wette gewonnen wird.
Autor: Detlef Düring Bilder: Andrea Düring