Neues Leben in alten Dörfern in Centro de Portugal

Das Problem ist in so ziemlich jeder Region Europas bekannt: Junge Erwachsene verlassen ihre ländliche Heimat und ziehen in die großen Städte – zum Studium, für eine gut bezahlte Stelle, oder wegen des größeren Unterhaltungsangebots im urbanen Umfeld. Das ist im Centro de Portugal nicht anders, wo die Landflucht sogar dazu geführt hat, dass einzelne Dörfer ganz verlassen sind und nach und nach verfallen, oder nur noch einige alte Bewohner die Stellung halten.

Mit den Dörfern geht aber auch viel Wissen um Tradition und Kultur verloren. Doch in der Hügel- und Bergwelt Mittelportugals entstanden gleich drei verschiedene Projekte, die alte Dörfer erhalten und eine sanfte Form des Tourismus auf dem Land fördern wollen.

Die „Aldeias de Montanha“

Reine, frische Bergluft, unberührte Wälder und Wiesen, intakte Gemeinschaften, in denen Tradition noch gelebt wird: Die Bergwelt im Osten des Centro de Portugal hat viel zu bieten – zumindest für alle Besucher, die auch einmal ohne schicken Pool, mondänes Nachtleben und hippe Boutiquen auskommen.

Zwischen der Gegend um Guarda nahe der Grenze zu Spanien und dem Bezirk Oliveira do Hospital im Westen bis weit hinauf in die Serra da Estrela, das höchste Gebirge des portugiesischen Festlandes mit den Bezirken Seia, Manteigas und Covilhã, reicht das Netzwerk ADIRAM (Association of Network Mountain Villages). Im Süden bildet der Bezirk Fundão die Grenze.

Dörfer, die diesem auch von der EU-geförderten Netzwerk beitreten wollen, müssen tatsächlich echte Bergdörfer sein. Denn die Höhe ist der verbindende Faktor des Gesamtkonzeptes. Der Ansatz ist clever: Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, all das, was man normalerweise zu den Schwächen eines Bergdorfs zählen würde, kurzerhand zur Stärke zu erklären.

Oben in diesen Dörfern sucht man vergeblich nach Supermärkten. Dafür findet man Tante-Emma-Läden, in denen man alles für den täglichen Bedarf bekommt – von Lebensmitteln bis hin zu traditionell hergestellten Stoffen. Es gibt dort oben auch kleine trendige Bäckereien, wie etwa die Bäckerei Loripão im Dorf Loriga, die handwerklich hergestelltes Maisbrot (Broa) oder den ortstypischen „Schwarzen Kuchen“ (Bolo Negro) verkauft. Professionelle Fremdenführer sind dort unbekannt. Stattdessen können die offenen, liebenswerten Bewohner der Dörfer unzählige Geschichten über die Gegend erzählen.

Die Einwohner der Bergdörfer finden es ganz normal, interessierte Besucher an ihrem Alltag und an ihren Festen teilhaben zu lassen. Brotfeste etwa, die zu Ehren des in der Höhe üppig wachsenden Roggens gefeiert werden. Kastanienfeste oder Wollfestivals – schließlich leben viele Bergbewohner von der Schafzucht. Ein Höhepunkt ist auch das Weihnachtsfest in Cabeça, wo sich alle Bewohner zusammengeschlossen haben, um das Dorf in ein richtiges Aldeia Natal (Weihnachtsdorf) zu verwandeln – geschmückt ausschließlich mit nachhaltig und regional hergestellten Materialien.

Besucher haben die Möglichkeit, die unverfälschte Natur der Bergwelt bei Wanderungen oder Radtouren kennen zu lernen und tief in die Traditionen der Region einzutauchen. Und auch die Gastgeber profitieren vom sanften Qualitätstourismus: Die Fremden bringen nicht nur Geld auf den Berg, sondern geben den Bewohnern auch das wichtige Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und ihre Tradition in eine neue Zeit zu führen – was nicht zuletzt das Gemeinschaftsgefühl in den Dörfern nachhaltig stärkt und auch so manchen der Jungen zurückbringt oder gleich bleiben lässt.

Mehr Infos unter http://www.aldeiasdemontanha.pt

Centro de Portugal ©Monsanto
Die Historischen Dörfer

Vor langer Zeit galten die meist auf Hügeln gelegenen Dörfer als Bollwerk gegen feindliche Truppen, die in der Region Beiras meist aus Richtung Spanien kamen. Aus jeder geschlagenen Schlacht wuchsen neue Legenden, und in der Hoffnung auf einen Sieg errichteten die Bewohner Kirchen und Kapellen.

Zum Glück ist die Zeit kriegerischer Auseinandersetzungen in diesem Gebiet lange vorbei. Die Dörfer aber verloren an Bedeutung und Bewohnern, vielerorts blieben nur die Alten zurück, Mauern und Kirchen verfielen. Zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts erkannte die portugiesische Regierung die historische Bedeutung von Orten wie Castelo Rodrigo oder Belmonte, von Marialva und Piódão, von Monsanto und Almeida. Das Netzwerk „Aldeias Históricas“ wurde gegründet.

Zunächst wurden in den in das Programm aufgenommenen 12 Dörfern einzelne Reparaturarbeiten an Fassaden, Dächern und Monumenten durchgeführt, später wurden – auch dank tatkräftiger Unterstützung durch die EU – ganze Dörfer saniert. So verbesserte sich nicht nur die Lebensqualität der Bewohner, sondern eröffnete sich auch die Chance, die Orte für eine sanfte Form des ländlichen Tourismus (Turismo Rural) zu entwickeln. Heute können Besucher durch wunderbare mittelalterliche Gassen schlendern, Trutzburgen und Schandpfähle, Herrenhäuser und Paläste besichtigen. Für die Nacht stehen einfache bis höchst komfortable Hotels bereit, und in den urigen Tascas kann man regionale Spezialitäten wie Lammgerichte, Käse oder deftige Würste verkosten; auch die Olivenöle und die Weine der Region werden höchsten Ansprüchen gerecht.

Die Aldeias Históricas sind perfekte Ziele für ein verlängertes Wochenende. Zahlreiche Wander- und Radwege ziehen sich durch die Felder und Weinberge der Umgebung, nicht weit ist es in den Naturpark Serra da Estrela, über viele Kurven gelangt man zu den Aussichtspunkten der Serra da Marofa, und im ruhigen Naturpark von Malcata kann man mit etwas Glück sogar frei lebende Luchse durchs Buschwerk huschen sehen.

Mehr Infos unter https://aldeiashistoricasdeportugal.com

Centro de Portugal ©Cerdeira
Die Schieferdörfer

Der Erhalt alter Häuser, aber auch die Bewahrung von handwerklichen, gastronomischen und kulturellen Traditionen stand auch bei der Gründung der Aldeias do Xisto, der Schieferdörfer, im Vordergrund. Heute gehören 24 Dörfer zu dem Netzwerk, dem der Schiefer als vorherrschender Baustoff in der Region seinen Namen gab. Bei der Sanierung der oftmals halb verfallenen und verlassenen Dörfer wurde streng darauf geachtet, dass nicht nur traditionelle Baustoffe, sondern auch seit Jahrhunderten überlieferte Handwerkstechniken zum Einsatz kamen.

Auch in den Läden und Lokalen der Schieferdörfer wird die Tradition hochgehalten: Es gibt regionaltypische Käse- und Wurstsorten, kleine Cafés und rustikale Restaurants locken Einheimische wie Besucher an. Wer eine Tour durch einige der Dörfer unternimmt, wird von ihrer Vielfalt überrascht sein. Mal trifft man auf durch und durch ländliche Strukturen, streifen Ziegen durch enge Gassen. Andere Dörfer hingegen werden inzwischen durch nachhaltigen Tourismus geprägt: Man findet kleine Hotels, deren Zimmer sich mitunter über mehrere Häuser verteilen und Ferienhäuser, die hinter der steinernen Fassade modernen Komfort bieten – beliebt bei Urlaubern aus Portugal und der ganzen Welt.

Mehr Infos unter https://aldeiasdoxisto.pt